Martina Hefter in der 9a

 

"Dass es auch was Geisterhaftes haben kann ... was Unheimliches"

(Martina Hefter am 18. September 2012)

Im Deutschunterricht der 9a stand bis vor kurzem Gedichtinterpretation auf dem Plan, mit allem, was dazugehört: lyrisches Ich, Metrum, Versfuß, Reimform, rhetorische Mittel usw. Wie nahezu alle Schüler waren wir diesem Thema gegenüber nicht gerade positiv eingestellt. In dem Versuch, Frau de Groote dazu zu bringen von diesem Thema abzulassen, wurde schließlich die Frage nach dem Sinn gestellt: "Wozu brauchen wir das eigentlich? Brauchen Dichter sowas?" Frau de Groote wollte die Antwort mit uns gemeinsam ganz genau wissen. Sie schlug vor, eine Dichterin zu uns einzuladen, die wir statt ihrer mit unseren Fragen löchern sollten. So kam es, dass wir am 18. September Besuch von Martina Hefter bekamen.

Martina Hefter wurde 1965 im Allgäu geboren, machte ein Ausbildung in zeitgenössischem Tanz in München und Berlin und studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Bisher schrieb sie drei Romane und einen Gedichtband. Sie wurde mit dem Londonstipendium des Deutschen Literaturfonds, mit dem Hermann-Lenz-Stipendium und mit dem Lyrikpreis Meran ausgezeichnet. Sie kam circa eine halbe Stunde zu spät zu der Stunde, die wir mit ihr verbringen sollten.

Die Verspätung der Dichterin nutzend, reflektierten wir in der Klasse die beiden Gedichte von ihr, die wir von Fr. de Groote erhalten hatten und über die wir zuvor übereinstimmend unser Unverständnis geäußert hatten. Hier eines der Gedichte:

"Ein Buch des Körpers
Der Körper ein Rucksack, gut durchblutet,
immer unterwegs zum Kräftemessen mit den Gedanken,
über Wertstoffhöfe, Kompost?

Mein linker Arm beschreibt kleine Kreise,
Ich fürchte, die Gene. Sternfeuer aus Abfall.

Ich schleppe an einer Qualle, einem Blasebalg,
mit allem vertraut, was an mir haftet
an Glanz.

Ich lade auf, werfe ab,
schnips mit den Fingern, und puff.

Werde ich spüren, dass ich nichts wiege,
zwischen die Lichtbündel hüpfen,
die Spotlights schleudern?"

Frau de Groote gab uns einen ersten Hinweis, um das Gedicht zu verstehen. Wir sollten beim Lesen beachten, dass Frau Hefter eine ausgebildete Tänzerin ist. Das half zwar etwas, aber richtig verstanden hatten wir das Gedicht immer noch nicht.
Als Frau Hefter schließlich eintraf, konnten wir es kaum erwarten, ihr Löcher in den Bauch zu fragen. Zuerst stellten wir Fragen zu ihrer Person und dem Dichten allgemein. Dabei stellte sich heraus, dass, wie von Frau de Groote zuvor schon festgestellt, ihre Arbeit als Tänzerin und Choreographin sich in ihren Gedichten wiederspiegelt. Ebenfalls interessant war, dass sie Gedichte nicht zuallererst aus Erlebnissen oder Gedanken heraus schreibt (wie manch eine angehende Dichterin aus unserer Klasse das tut). Sie schreibt Gedichte einfach so. Ihrer Aussage nach, schwirrt ihr meist einfach ein Wort oder ein Satz im Kopf rum, den sie dann weiterentwickelt.
Als wir sie dann speziell zu den uns vorliegenden Gedichten befragten, entschlüsselte sie uns das "Geheimnis", wie diese Gedichte zu lesen sind. Ihre Gedichte bestehen aus Zeilen. Das heißt, dass man die Zeilen unabhängig voneinander lesen muss, um sie zu verstehen.

Sie demonstrierte uns dies sogleich folgendermaßen.

Als Beispiel nahm sie den Satz "Heute ist schönes Wetter", welcher schon zuvor im Gespräch mehrfach als Beispiel diente. Sie schrieb diesen Satz in zwei Zeilen an die Tafel.

"Heute ist
schönes Wetter"

Darunter schrieb sie, wieder in zwei Zeilen:

"Heute
schönes Wetter".

Nun erklärte sie, dass in dem oberen Zweizeiler die erste Zeile als Zeile keinen Sinn ergibt. In dem unteren allerdings schon. Durch das Auslassen des Wörtchens "ist" ergibt die erste Zeile nun als Zeile Sinn, obwohl sie keinen direkten Bezug mehr zur zweiten Zeile hat. Zu unserer Frage nach dem Nutzen des Versmaßes und dergleichen erläuterte sie uns, dass die meisten modernen Dichter sich nicht mehr an Versmaßen, Kadenzen usw. orientieren, obgleich diese Dinge bei einigen Dichtern immer noch eine Rolle spielen.
Da dies nicht die von uns erhoffte, klare Ansage, dass man derartige rhetorische Mittel nicht braucht war starteten wir noch einen letzten Versuch und fragten: "Würden sie wollen, dass in zweihundert Jahren Schüler versuchen ihre Gedichte zu analysieren und interpretieren?".
Sie antwortete, dass sie sich natürlich freuen würde, wenn ihre Gedichte so lange bestehen sollten und eine solche Bedeutung bekommen würden, dass sie analysiert würden. Um aber in Gedichten nicht nur den Aspekt der Analyse zu sehen, gab sie uns noch eine Botschaft mit auf den Weg:

"Ihr könnt Gedichte auch benutzen... zum Spaß!"

Pablo Neitzsch